Patienten 03

Herbert Jerrentrup sen. Hamburg

Patienten- und Helfererlebnisse

nach der Gesetzesänderung 1. Sept. 2009

 

Betreuung

ohne und mit Betreuerausweis

 

Die Patientin hatte einen schweren Schlaganfall erlitten und wir Geschwister, Schwägerin und Schwäger, sowie Freunde aus nah und Fern an ihrem Bett und hielten die Hand. Sprechen konnte sie nicht, deshalb sprachen wir Besucher. Ein Lächeln kam hin und wieder zurück, ein Kopfschütteln ersetzte das „Nein“ aber ja konnte sie noch sagen und es mit einem Kopfnicken auch betonen.

Schnell hatten wir Besuchstermine abgesprochen, damit nicht zu viele Personen am Bett waren und keine Überanstrengung erfolgte.

Hin und wieder war das Bett auch leer, weil die therapeutischen Anwendungen noch nicht beendet waren. Manchmal sah ich aus der Ferne zu, damit ich nicht störte. Ich war begeistert von der Therapeutin und von dem Eifer, den die Patientin dabei entwickelte, ganz einfache Übungen auszuführen. Der Schweiß verriet ihren eisernen Willen.

Die Angestellte der Sozialstation in der Reha-Station Wilhelmsburg waltete ihres Amtes gewissenhaft und sehr einfühlsam. Sie hatten viel Erfahrung und informierte das Vormundschaftsgericht in Altona. Irgendeine Entscheidung musste gefällt werden, denn ein Zurück in die Wohnung erschien ihr und den Ärzten unwahrscheinlich. Von einer Unterbringung in eine Seniorenresidenz wurde gesprochen. Dazu müsste ein Betreuer vom Vormundschaftsgericht in Altona, dem Wohnsitz der Patientin, eingesetzt werden.

Warum einen fremden Betreuer einsetzen, wir sind doch als Geschwister ihre (Familie)? Eine Schwester wurde bestimmt und erklärte sich bereit, und das Vormundschaftsgericht Altona wurde von der Sozialstation auf dem Eilweg unterrichtet, weil auch auf die Schnelle ein schönes passendes Zimmer in Bergedorf zur Verfügung stand, und ein Vorvertrag vereinbart werden konnte. Der Richter wurde auf besagtem Eilweg informiert, damit er die Betreuungsverfügung ausstellen konnte.

Mein Gott ließ der Richter sich Zeit. Telefonisch war es nicht möglich, an ihn heranzukommen.

In dieser Wartezeit hatte die Patientin einen weiteren schweren Schlaganfall erlitten, und wir Geschwister wurden von dem Arzt zum Gespräch gebeten, und auf die Schwere der Situation hingewiesen. Der Arzt wollte Näheres zu der Patientenverfügung wissen, weil er laut neuer Rechtsprechung, seit dem 1. Sept. 2009, dazu verpflichtet sei, wie er uns erklärte. Er ließ sich genau erläutern, was die Patientin mit keinen lebensverlängernden Maßnahmen meinte, und warum sie das überhaupt mit den Geschwistern besprochen hatte.

Nachdem der Arzt gewissenhaft alles erfragt und von uns gehört hatte, wollte er sich am nächsten Tag im Ärztegremium besprechen und uns über das weitere Vorgehen informieren.

Das Ergebnis war: keine PEG-Sonde, Absetzung der i.v.-Volumentherapie 48 Stunden vor Entlassung und Abstand von erneuter stationärer Einweisung.

Die Patientin wurde nach Bergedorf zur Kurzzeitpflege verlegt. Ein sechsseitiges Begleitschreiben per FAX informierte das Heim, die neue Hausärztin und das Gericht.


Weil der Betreuerausweis noch immer nicht übergeben war, konnte die Schwester den Heimvertrag noch nicht rechtskräftig unterschreiben, denn sie befand sich in einer so genannten Grauzone.

Ein Anruf beim Gericht in Altona ergab, dass der Richter alle Unterlagen nach Bergedorf geschickt hatte. In Bergedorf war aber noch nichts angekommen. Im Zeitalter der Computertechnik dauert so etwas etwa 1 Woche. Nach Ablauf dieser Zeit folgte ein erneuter Anruf in Bergedorf. Nach diesem Zeitraum erfolgte ein weiterer Anruf, und es stellte sich heraus, dass es in Hamburg nicht üblich ist derartige Unterlagen an ein anderes Hamburger Vormundschaftsgericht weiterzuleiten. Daraufhin sind die Unterlagen von Hamburg-Bergedorf kurzerhand wieder nach Hamburg-Altona geschickt worden. Wieder verging es eine Woche ohne Rückruf.

Dann, am 16. Dez. ließ die Schwester sich nicht mehr abwimmeln, und sie schaffte es schließlich nach drei Versuchen, mit dem Richter zu sprechen und wies ihn auf die Dringlichkeit und den weiteren Schlaganfall nebst die Lebens bedrohende Situation hin.

Am 22. Dez. hatte das „beschleunigte Verfahren“ endlich Erfolg. Der Betreuerausweis konnte vom Amtsgericht Hamburg-Altona abgeholt werden.

„Dann lass uns gleich zum Altonaer Spar- und Bauverein gehen, um die Wohnung der im Sterben liegenden Patientin zu kündigen“, sagte die Besitzerin des Betreuerausweises. „Das dürfen sie nicht. Sie machen sich strafbar. Die Wohnungskündigung kann bis zu einem halben Jahr dauern“, antwortete unser Gegenüber mit erhobenem Zeigefinger. „Sie dürfen ab jetzt die Briefe ihrer Schwester öffnen. Sie glauben gar nicht, was wir schon alles erlebt haben“, wurde die Mahnung noch unterstrichen.

Als ich den „hohen Herrn“ fragte, wer denn Miete und die hohen Heimkosten so lange gleichzeitig zahlen soll, meinte er, die Patientin, und dann folgte: „Und wenn das Geld nicht ausreicht, dann zahlt das Sozialamt“.

„Was ist das denn für eine Verschwendung“, entgegnete ich, woraufhin ihm nichts Besseres einfiel, als zu sagen: „Mit Ihnen unterhalte ich mich gar nicht. Mein Ansprechpartner ist Ihre Frau, die hat jetzt den Betreuerausweis.“

Es waren noch einige Worte hin und her gesagt worden. Mein Kopf ist fast vor Aufregung geplatzt. Dann verließen wir den Raum, denn die Betreuung der Patientin war uns wichtiger, als weitere unsinnige Wortgefechte.

Die Arbeitsweise der betreffenden Personen im Vormundschafts- bzw. Amtsgericht Hamburg-Altona war mangelhaft.

Zwei Tage später, am 24. Dez. 2009 war die Patientin zufrieden ins unserem Beisein für immer eingeschlafen.


 
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